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ÜBERS LEBEN STOLPERN


Kleine Gedenktafeln aus Messing erinnern in ganz Europa an die Verfolgung, Deportation und Ermordung von Opfern des NS-Regimes. In Neubrandenburg gibt es fünf solcher Stolpersteine. Nun sollen weitere hinzukommen.

Neubrandenburg. Ehe Jüdinnen und Juden in Neubrandenburg leben konnten, hat es eine ganze Weile gedauert. Erst im Jahr 1864 ist hier die erste jüdische Gemeinde entstanden, dreizehn Jahre später die erste Synagoge. Seit 1918 gibt es die staatsbürgerliche Gleichstellung für Jüdinnen und Juden in Mecklenburg. „Zu Beginn des ersten Weltkrieges umfasste die jüdische Gemeinde in Neubrandenburg etwa 100 Personen auf insgesmt 12 000 Bürgerinnen und Bürger. Sie waren stets eingebunden ins Leben hier. Unterschwelliger Antisemitismus herrschte dennoch“, sagt Eleonore Wolf, Leiterin des Stadtarchivs. „Im ersten Weltkrieg haben viele Familien Verluste erleiden müssen. Anfang der 1940er Jahre lebten nur noch fünfzehn Jüdinnen und Juden hier, viele haben ihre Heimat aufgrund der immer prekärer werdenden Situation verlassen oder sind bereits deportiert worden.“

Im Jahr 2009 wurden auf Initiative Irina Parlows, damals Fraktionsvorsitzende der Partei Die Linke in der Stadtvertretung, zum ersten Mal Stolpersteine in Neubrandenburg verlegt, um an die Ermordung jüdischer Bürgerinnen und Bürger zu erinnern. Seit dem ist wenig passiert.

Ende April diesen Jahres kam neuer Wind in die Sache. „Wir konnten Eleonore Wolf dafür gewinnen, im Alternativen Jugendzentrum einen Vortrag zu Spuren der Naziverbrechen in Neubrandenburg zu halten“, erzählt Lotta Hermann vom AJZ Neubrandenburg. Thema des Vortrages waren die kriegsbedingten Lager in Neubrandenburg, die von 1939 bis 1948 in der Stadt bestanden und in denen tausende Frauen und Männer, die aus vielen besetzten Ländern Europas nach Neubrandenburg verschleppt wurden, durch die deutsche Rüstungsindustrie ausgebeutet wurden. Neuesten Recherchen zufolge gäbe es neben den fünf bereits bekannten Namen - Jenny Hirsch, Hanna Löwi, Else Kallmann, Margarete Hoffmann und Siegfried Hoffmann – noch etwa dreißig weitere Jüdinnen und Juden, die in Neubrandenburg geboren wurden oder hier für eine längere Zeit gelebt hätten und zwischen 1939 und 1945 ermordet wurden. „Ausgehend von den Diskussionen während des Vortragsabends haben der Verein Alternatives Jugendzentrum Neubrandenburg und der Verein zur Förderung antifaschistischer Kultur beschlossen, die Initiative zur Verlegung weiterer Stolpersteine in der Stadt zu ergreifen und offiziell Kontakt mit dem Stadtarchiv aufgenommen“, so Hermann.

Zurück geht das Projekt auf den Künstler Gunter Demning, der durch die kleinen Gedenktafeln auf Gehwegen gegen das Vergessen vieler Schicksale agiert. Jeder Stein wird handgefertigt und verlegt. So soll jedem ermordeten Menschen mit Respekt und Achtung begegnet werden – ein Stein, ein Name, ein Mensch. Inzwischen liegen nach Informationen des Projektes Stolpersteine in 1265 Kommunen Deutschlands und in einundzwanzig Ländern Europas.

„Wir wollen die bisher in der Stadt unbekannten Namen der ermordeten Neubrandenburger Jüdinnen und Juden durch die Verlegung weiterer Stolpersteine dem Vergessen entreißen und die hier lebenden Menschen und Gäste Neubrandenburgs mit diesem Teil der Geschichte der Stadt konfrontieren. Die Kampagne wollen wir durch Vorträge, Lesungen und Stadtspaziergänge begleiten. Unser Ziel ist es, dem wieder zunehmenden Antisemistismus entgegen zu treten“, sagt Lotta Hermann. Für Eleonore Wolf ist das Engagement vieler Bürgerinnen und Bürger ein wichtiges Zeichen. „Ich finde es schön zu sehen, dass dieser Teil unserer Geschichte nicht einfach in Vergessenheit gerät und sich noch immer Menschen dafür einsetzen, dass derartige Geschehnisse nie wieder stattfinden.“ Finanziert werden sollen die Stolpersteine über Spenden. 120 Euro kostet die Patenschaft für die Herstellung und Verlegung eines Stolpersteins. Wer die Aktion finanziell unterstützen will, kann einen Betrag unter dem Stichwort „Stolpersteine“ auf das Spendenkonto des AJZ überweisen: Alternatives Jugendzentrum e.V., Sparkasse Neubrandenburg-Demmin, IBAN: DE78 1505 0200 3600 2005 76.

16.11.2018 um 19:11